Dienstag, 23. Februar 2021

 Als Leseprobe habe ich den Schluss des ersten Kapitels ausgewählt.

Cindy Reemer war, nachdem sie Opfer eines Mordversuchs geworden war, von "ihrer" Insel Wodewitt geflohen, und kehrt nun mit Philipp, ihrem neuen Bekannten, dorthin zurück. 


Unsere Aufmerksamkeit wurde jetzt auf einen bejahrten weißen Lieferwagen gelenkt, der neben uns hielt. Ein alter Bekannter stieg aus, und plötzlich wurde mir warm ums Herz. Ich fühlte mich mit einem Mal zu Hause! Der Fahrer des Transporters war kein anderer als Skippie, der Besitzer des Kutters, der dort am Steg vertäut lag. Er versorgte die Wodewitter mit Lebensmitteln und allen Waren des täglichen Bedarfs, Post und Zeitungen, und seine „Windsbraut“ war zugleich das Fährschiff, das Passagiere zur Insel und zurück beförderte.

Ein Hauch von Wiedererkennen zuckte auch über Skippies Gesicht, als sein Blick mich kurz streifte. Er tippte an seinen Mützenschirm und stieß ein knappes „Moin!“ aus.

Mit leichter Verzögerung, die norddeutschen Gepflogenheiten nicht mehr gewohnt, erwiderte ich den Gruß. Irgendwie kam ich mir immer noch komisch vor bei diesem „Moin!“ zu jeder beliebigen Tageszeit. Obwohl ich inzwischen gelernt hatte, dass es nichts mit „Guten Morgen!“ zu tun hatte.

Guten Morgen!“ sagte Philipp, obwohl die Uhr auf halb zwölf zuging. „Sind Sie der Käpt'n hier?“

Skippie Bollhagen nickte. „Jo - ?“

Fahren Sie nach Wodewitt?“

Aber ja“, warf ich ein, leicht verärgert. „Das ist Kapitän Bollhagen.“

Ich kannte mich hier aus. Er musste sich jetzt nicht in den Vordergrund schieben. Philipp streifte mich mit einem nicht sehr freundlichen Blick. Das konnte ja heiter werden. Sollte unsere gemeinsame Zeit auf Wodewitt etwa mit einem Streit beginnen?

Wir mussten uns noch fast eine Stunde gedulden, bis Skippie die Persenning* entfernt, sowie die Ladung an Bord gebracht und verstaut und verzurrt hatte. Anschließend kam unser Gepäck an die Reihe. Als alle Arbeiten beendet, und der Kutter endlich seeklar war, durften wir an Bord kommen. Eine Landungsbrücke gab es nicht, oder Bollhagen hatte keine Lust, sie für lediglich zwei Passagiere auszulegen. Er reichte mir die Hand, und ich bemühte mich, zu springen, wenn sich das Schiff im leichten Wellengang des Hafenbeckens mir entgegen hob. So ganz gelang mir das nicht, und beim Aufkommen knickte ich auch noch mit dem Fuß um.

Doch Bollhagens starker Arm hielt und führte meinen zaghaften Sprung so sicher, als hätte ich an einer Stahlschiene gehangen. Urplötzlich schwindelte mir. Wie durch eine Nebelwand registrierte ich hinter mir das Geräusch, als auch Philipps Füße an Deck aufkamen.

Bollhagen musste meinen tranigen Zustand bemerkt haben, denn er setzte mich resolut, und ohne ein Wort zu sagen, auf die Bank am Heck des Schiffs. Dort kam ich langsam wieder zu mir, aber nur um zu bemerken, wie alles um mich her schwankte; und mir meinen vorherigen benebelten Zustand zurückzuwünschen. Philipp setzte sich zu mir, er schien nicht mehr länger verstimmt zu sein.

Gemeinsam beobachteten wir, wie der Skipper den Anker hievte und die Achterleine* losmachte und einholte. Er schien im Ruderstand noch verschiedenes zu prüfen, dann ließ er den Schiffsdiesel an, und der eiserne Rumpf erzitterte unter den Vibrationen des Motors. Bollhagen machte die Vorleine* los und holte sie ein. Das Boot begann sich langsam vom Steg wegzudrehen und ich bekam es mit der Angst, denn Bollhagen war immer noch mit dem Tau beschäftigt. Doch er bewegte sich flink und gewandt wie ein Filmpirat und schon im nächsten Moment nahm er seinen Platz am Ruderstand ein. Die „Windsbraut“ begann, langsam vorwärts zu gleiten. Wir lösten uns endgültig vom Steg, und in weitem Bogen verließen wir den kleinen Hafen, um nach Wodewitt überzusetzen. Ein neuer Abschnitt in unserem Leben begann.

Sonntag, 16. Dezember 2012

Verachtet nicht die Unterhaltungsliteratur!

Heute beschäftige ich mich mit zwei eBooks im Stil von Heftromanen, und zwar als Empfehlung für leichte, unkomplizierte Unterhaltung. Als Vertreter dieses missachteten, jedoch qualitativ nicht unbedingt schlechten Genres habe ich einen Western und eine Spukgeschichte ausgesucht. Sie sind handwerklich hochwertiger als die Werke mancher Arrogantlinge, die sich für Autoren ausgeben und über Trivialliteratur die Nase rümpfen.

Dirk Bongardt "Wer den Bullen reizt"

aus der Reihe Al Lobo Wolfson-Chroniken

amazon Kindle eBook

€ 1,39

http://www.amazon.de/Bullen-reizt-Western-Reihe-Wolfson-Chroniken-ebook/dp/B006L9NSBC/ref=cm_cr_pr_product_top

"Wer den Bullen reizt" ist das fünfte der Al-Lobo-Bücher. Oder sollte man Hefte sagen? Es handelt sich ja um einen Western im Stil von Romanheften; und auch bei den Heftromanen gibt es durchaus ausgezeichnet geschriebene Repräsentanten. Jeder einzelne Band hat eine in sich geschlossene Handlung.
Dirk Bongardt scheint mit seiner ersten deutschen Western-Reihe exklusiv für den amazon Kindle den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Jedoch ist sein Erfolg kein Zufall, denn Bongardt ist ein routinierter Schreiber.  Sein Stil ist gut lesbar und unterhaltsam; er ist zwar nicht von Hochspannung, aber wohldosierter Spannung geprägt. Der günstige Preis tut ein Übriges.

Thomas Al Wolfson, genannt Lobo (spanisch: Wolf), ist jetzt Sheriff in Alamosa. Da wird ein farbiges Paar gefunden, grausam gelyncht. Alles deutet auf den Ku-Klux-Klan hin, aber den gibt es seit 1871, also seit sieben Jahren, nicht mehr. Trotzdem grassiert sofort die Angst in dem kleinen Städtchen, das kaum mehr als ein Stützpunkt zum Bau der Denver & Rio Grande Western Railroad ist. Selbst Father Fairbanks führt in der Kirche "Apartheid" ein. Die Stimmung schlägt gegen den Sheriff, der nicht nachlässt in dem Bemühen, die Morde aufzuklären, um. Er wird abgesetzt. Doch Lobo ist entschlossen, dem KKK auf die Spur zu kommen. Verbündete findet er nur in der Indianeragentin Jenny und dem Farmer, bei dem die Ermordeten beschäftigt waren. Wie gut, dass Piercington, der lokale Boss der Eisenbahngesellschaft, viel über den Klan weiss - er wird von entscheidender Bedeutung für die Aufklärung des Falles sein.

Wie gesagt, Bongardt besticht durch eingängigen, flüssigen  Schreibstil. So bemerkt man vor Spannung kaum die inhaltlichen Mängel.
 Kurz gesagt, verhalten sich die handelnden Personen eher wie 21., als wie 19. Jahrhundert. Eine weibliche, unverheiratete Inianeragentin, die noch dazu eine uneheliche Beziehung zum Sheriff unterhält - das ist schon starker Tobak. Zudem möchte sie nicht Ma'am, sondern Jenny genannt werden. Speck und Bohnen sollten Al und Jenny übrigens besser löffeln; eine Gabel ist nicht nur unpraktisch, sondern im Wilden Westen noch so gut wie unbekannt. Zu dieser Zeit begann das Essinstrument sich gerade in den einfachen Schichten Europas durchzusetzen. Ich empfehle auch nicht, aufgrund von Al Lobos Angaben das Schießen zu erlernen oder Rinderzucht zu betreiben. (Solche Schnitzer pflege ich auch anderen anzukreiden, also kann ich sie hier nicht verschweigen.)

Sharon de Winter "Margarets Fluch"

amazon Kindle eBook 

€ 2,99

http://www.amazon.de/Margarets-Romantik-Thriller-Unheimlich-ebook/dp/B009K72VSS/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1355584796&sr=8-1

Hach, das Autoren-Pseudonym! Ja, das ist "Frauenroman" in Reinkultur.

Ausgewiesen ist das Buch als Romantik Thriller.  Nun, er bietet der Hausfrau ungefähr so viel Aufregung, als wenn die Kinder eine Viertelstunde zu spät aus der Schule kommen. Die Handlung ist vorhersehbar, die Spannung hält sich in engen Grenzen. Es liest sich eben weg -  angenehm, aber ohne überraschenden Wendungen: 220 V Gleichstrom. Also genau das, was Romanheft-Leserinnen lieben und erwarten. Im übrigen ist "Margarets Fluch" einwandfrei geschrieben und sprachlich nahezu makellos.  Und selbstverständlich kriegen sich die beiden am Ende ...

Die Handlung wurde in ein altes Nonnenkloster nahe der schottischen Grenze verlegt. Dort findet die schwangere Larissa, nachdem sie sich mit Steven, dem Vater des Kindes, überworfen hat, eine Anstellung als Gesellschafterin und Pflegerin einer alten Dame, Mrs Pauley.
Sie hat es wunderbar getroffen; wenn da nur nicht das Hausgespenst wäre: Margaret von Battle wurde vor Jahrhunderten als "ledige Mutter" in ebendiesem Kloster eines Kindes entbunden, das sofort nach der Geburt getötet wurde. Die Äbtissin hatte keine Wahl, als den Befehlen der Grundherren, derer von Battle, zu folgen. Margaret verfluchte darauf das Kloster mit allen Insassinnen. Das Originelle ist daran, dass der Fluch vollste Wirkung hatte - alle Nonnen, alle Schülerinnen starben - im Ort redet man heute noch von einer rätselhaften Seuche. Auch die Familie der unglücklichen jungen Edelfrau stirbt aus.
Und der Fluch wirkt über die Jahrhunderte hinweg - Margarets Baby ist in höchster Gefahr. Steven, der wieder auftaucht und von Larissa in Gnaden aufgenommen wird, ist übrigens der einzige Mann, von dem ich je gehört habe, dass er solcher Spökenkiekerei zugänglich wäre.



Dienstag, 4. Dezember 2012

Rezension: Schuldig! Ein Kommissar-Hartmann-Krimi

Jens R. Willmann "Schuldig!"

(Kommissar Hartmann-Serie)

amazon Kindle eBook € 3,08

http://www.amazon.de/Schuldig-Krimireihe-Hartmann-ebook/dp/B008BSYVXK/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1354641126&sr=8-1

als Hörbuch-Download €;9,95

http://www.amazon.de/Schuldig-Wuppertal-Krimi/dp/B008KO39QA/ref=sr_1_3?ie=UTF8&qid=1354641126&sr=8-3


Mit kritischem Wohlwollen:


Die Kommissar-Hartmann-Reihe sind Wuppertaler Lokal-Krimis. Die vier Bücher sind bereits vor Jahren als Print erschienen - produziert in verschiedenen Pseudoverlagen. Nun sind sie zu einem vernünftigen Preis für den Kindle erhältlich.


Der Einstieg ist für den Leser schwierig zu verstehen. Ein Mann - es heißt viele Seiten lang immer nur "er" - tötet einen anderen Mann. Er tötet ihn nicht irgendwie; er foltert ihn zu Tode. Mit voller Absicht und nach sorgfältiger Planung. Die umständliche Beschreibung soll möglicherweise die akribische Vorbereitung des Verbrechens reflektieren, aber etwas Auflockerung und Gliederung hätte hier aufwertend gewirkt. Da wo andere, um schnell viele Seiten zu füllen, zu viel des Guten tun, nämlich bei den Absätzen, wurde bei "Schuldig!" zu sehr gespart. Die Formulierungen lassen Klarheit vermissen, die sprachliche Umsetzung ist mittelmäßig. Zuweilen weiß der Leser beim besten Willen nicht, was der Autor ihm jetzt sagen will. Über inhaltliche Mängel will ich mich nicht weiter auslassen, erspare mir auch Beispiele; nur so viel: sie sind reichlich vorhanden.


Nachdem ich das Buch durchgelesen hatte, habe ich den als furchtbar empfundenen Anfang nochmals angesehen, und stellte erstaunt fest, dass er gar nicht so schlimm ist, wenn man die Handlung kennt. Leider hilft dies dem Leser überhaupt nicht, der das Buch zum ersten Mal vor sich liegen hat.


Nach diesem ungünstigen Einstieg kommt es zu einem auffälligen Bruch - und zwar in handwerklicher Hinsicht. Der Text wirkt plötzlich wie von einer anderen Person geschrieben. Es wird spannend, die Dialoge sind lebendig und unterhaltsam, die Psychologie stimmt. Insbesondere die weiblichen Protagonisten sind - bei einem männlichen Schreiber eine Seltenheit - realistisch entwickelt.


Kommissar Hartmann, der den Foltermord und bald darauf weitere Fälle zu bearbeiten hat, gilt unter Kollegen als harter Hund. Der Leser lernt ihn aber ganz anders kennen. Hartmann gelingt die emotionale Trennung von der Arbeit nicht, die für den Beruf eines Kriminalisten unerläßlich ist. Hinzu kommen private Kalamitäten , so mit seiner "Problemtochter" aus erster Ehe. Alles wird ein bißchen viel, vielleicht bahnt sich auch eine Midlife Crisis an? Waren Hartmanns Methoden schon zuvor eher unkonventionell, steigt er nun völlig aus. Nachdem er volltrunken mit der Dienstwaffe herumgefuchtelt hat, wird er suspendiert. Hartmann jedoch ermittelt auf eigene Faust weiter und kommt dem Täter und einer Lynchmord-Organisation auf die Spur. Mehr sei nicht verraten.

Ohne Wuppertal zu kennen, rein vom Gefühl her würde ich sagen: es hätte ruhig ein wenig mehr Lokalkolorit sein können. Denn davon lebt ein Regionalkrimi. Fazit: Der Autor hat einen ordentlichen Brotjob und schreibt nur nebenberuflich - das ist  gut. Dennoch hat er eine originelle Idee zu einem letzendlich passablen Roman verarbeitet. Trotz der deutlichen Mängel würde ich weitere Kommissar-Hartmann-Bücher lesen.

Montag, 3. Dezember 2012

Rezension "Großstadtsommer" von Jan Siefen

Jan Siefen "Großstadtsommer"

€ 9,95    127 Seiten

Blauband Verlag GmbH 2011

als Kindle eBook € 7,62

http://www.amazon.de/Gro%C3%9Fstadtsommer-ebook/dp/B008TSCZ9E/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1354581271&sr=8-1

Es handelt sich hier um ein typisches Werk eines Neulings, eines Indie-Autoren. In faszinierender Frische wird Ungewöhnlichkeit zelebriert - es ist schwer zu entscheiden, ob es sich um Naivität oder Raffinesse handelt. Die Sprache ist einfach, aber nicht simpel. Am Wortschatz und der Schilderung des Handlungsablaufes gibt es wenig auzusetzen - gelegentlich ist die Ausdrucksweise etwas ungelenk.  Das gesamte Buch ist im Präsenz geschrieben, was kein Verbrechen, aber zumindest gewöhnungsbedürftig ist. Minutiös wird völlig Belangloses beschrieben, man fragt sich viele Seiten lang: "Worauf will der Schreiber hinaus? Wann kommt nun endlich die Pointe?" - aber es erfolgt keine Lösung. Beschrieben werden völlig banale Gedanken und Handlungen eines nicht ganz gewöhnlichen Menschen, den wir lediglich als P. kennenlernen. Der Ort der Handlung ist mit hohem Wiedererkennungswert beschrieben, aber der Name der Stadt wird nicht genannt. Und so setzen sich die seltsamen Widersprüche immer fort. Die Bezeichnung Roman ist hier fehl am Platze, denn dazu bedarf es eines schlüssigen Plots, eines  abgerundeten Szenariums. Trotzdem ist das Buch durchaus lesenswert. Es besticht auch durch sparsam eingesetzten subtilen Humor.
P. ist ein Tolpatsch und Unglücksrabe, aber auch ein Grübler, der es weder sich noch anderen leicht macht. Manchmal  hat er groteske Züge. Zeitweise konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, ein Autist versucht durch Situationstrainig in diesem Leben zu bestehen.  Andererseits kann P. mittels gesprochenen Wortes Menschen manipulieren - als Streitschlichter wie als unterhaltsamer Partygast.
P. fliegt zu einem Bewerbungsgespräch. Auf den Eignungstest bereitet er sich vor, indem er jene Antworten auswendig lernt, die seiner Meinung nach den besten Eindruck machen. Er hat mehrere Anzüge mitgenommen, um kurzfristig zu entscheiden, welcher davon ihm Glück bringen wird. Kurz und gut, P. ist eine merkwürdige Persönlichkeit. Die neue Firma hat seine Bewerbungsunterlagen verwechselt oder verbummelt - oder hat P. selbst die Sache verschusselt?  Es gelingt ihm nicht, Irrtümer auszuräumen - er macht einen denkbar schlechten Eindruck. Schließlich zieht er die Bewerbung zurück, woraufhin man ihm doch wieder Hoffnung macht. Es grenzt an ein Katz-und-Maus-Spiel der Firma mit dem Bewerber.
Im Hotel verschwindet P.s Gepäck, der Leihwagen ist Schrott - P. scheint tatsächlich das Unglück anzuziehen. Doch schließlich entwickelt sich die Handlung sogar noch zur Liebesgeschichte mit Aussicht auf ein Happy End.
Der Titel ist etwas irreführend, denn die Handlung spielt sich an nur drei "Großstadtsommer"-Tagen ab.
Eine Wertung fällt diesmal wirklich schwer. Aber ich denke, der potentielle Leser weiß nun, worauf er sich gegebenenfalls einläßt.

Dienstag, 6. November 2012

Rezension: Die Höllenmeute von El Diablo

Neal Chadwick "Die Höllenmeute von El Diablo"
amazon Kindle eBook € 2,68


Für gut geschriebene Western bin ich durchaus zu haben. Das vorliegende Werk wirkte auf mich wie ein ungeübter Erstlingsroman. Nach dem Lesen recherchierte ich jedoch zum Autor und musste feststellen, dass es sich um einen erfahrenen Vielschreiber handelt, der seit vielen Jahren und unter einer Unzahl von Pseudonymen Trivialliteratur produziert. Dafür war das Ergebnis eindeutig zu mager.
Vor allem kreide ich dem Autor Unlogik beziehungsweise Unglaubwürdigkeit an. Den Einstieg bildet ein Dialog in einer Postkutsche, die gleich darauf überfallen werden wird, wobei alle Insassen sterben. Das Gespräch ist nicht 19. Jahrhundert – weder Thema noch Wortwahl sind zeitgemäß authentisch. Absurd ist, dass eine schwangere junge Frau die beschwerliche und langwierige Reise mit der Postkutsche auf sich genommen hat, um in Tucson einen Arzt zu konsultieren. Frauen reisten damals nicht allein, es sei denn, sie waren Abenteurerinnen. Schwangerschaft und die rumpelnde, holpernde Postkutsche sind eine gefährliche Kombination. Damals war das Kinderkriegen noch eine lebensgefährliche Angelegenheit, und man setzte sich nicht mutwillig Gefahren aus. Man konsultierte eher eine Hebamme, ersatzweise ältere, erfahrene Frauen aus dem Umfeld. Ärzte hatten weder das Ansehen noch den Kenntnisstand wie heute – will sagen, in „Frauendingen“ waren sie ziemlich unbedarft; zumindest war ihr Image so.

Dem Sheriff des Städtchens Jefferson, John Read, wird der Überfall gemeldet und er trommelt einige Männer zusammen, um die Banditen zu verfolgen. Zuerst suchen sie aber den Farmer Bill Coburn auf, dessen Frau in der Postkutsche war. So verschenken sie wertvolle Zeit, denn die Raubmörder sind auf dem Weg nach Mexiko, wo der Arm des US-Gesetzes sie nicht mehr erreichen kann. Die Rächer erreichen zwar trotzdem das Lager der Outlaws, aber der Kopf der Bande, „El Diablo“, entkommt. (Kein Wunder, denn statt des obligatorischen Entwaffnens und Fesselns diskutiert der Sheriff erst einmal eine Runde mit dem Anführer). Read und Coburn verfolgen ihn bis Mexiko, während die anderen Männer die Gefangenen nach Jefferson bringen und sich (endlich!) um die Toten des Überfalls kümmern sollen.
Hier möchte ich einschieben, dass der Sheriff nicht wert ist, seinen Stern zu tragen, und ihn auch von Rechts wegen verlieren müsste, denn er hat für Ordnung in seinem County zu sorgen und nicht durch die Weltgeschichte zu reiten.
Sehr hübsch, aber reittechnisch unmöglich, die Szene, wie der Bandido entkommt: „El Diablo war ein hervorragender Reiter. Selbst ohne Sattel. Er ließ sich seitlich an dem Tier herabhängen und benutzte es als Deckung. Gleichzeitig gab er dem Tier die Sporen.“ Möglicherweise hat dieser Supergangster, wie ein Gecko, Haftlamellen an den Füßen? Oder klebt er sich mit Geduld und Spucke an den glatten, galoppierenden Pferdekörper? Solche Schnitzer findet man an mehreren Stellen. Verwundete reiten fröhlich tagelang durch die Gegend, als gäbe es keinen Wundbrand. Die Guten werden im Bleiregen nicht nass, während sie selbst pro Schuss einen Mann töten etc., etc. Dem Autor scheint das Unrealistische seiner Ausgeburt wurscht zu sein.
Abgesehen von den inhaltlichen Mängeln ist „Höllenmeute“ anschaulich, bildhaft und spannend geschrieben. Die Grammatik ist makellos, einige wenige Ungeschicklichkeiten in Wortwahl und Orthografie kann man nachsehen. Aufgefallen ist mir noch, dass recht häufig, und ohne dass es dem Text geschuldet wäre, Absätze nur aus einem halbzeiligen Satz bestehen. Trotzdem hat es der Autor nur auf geschätzte 89 Seiten gebracht (Angabe von amazon.de) – halb soviel wie ein durchschnittliches Romanheft. Und die haben zudem in der Regel eine bessere Qualität.

Samstag, 27. Oktober 2012

Joanne K. Rowling "Ein plötzlicher Todesfall"


Joanne K. Rowling "Ein plötzlicher Todesfall"
Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2012
€ 24,90

Einleitend gestehe ich, dass ich das Buch voreingenommen zur Hand genommen habe, denn den Harry-Potter-Hype hatte ich keinesfalls geteilt. Und dass ich einen 575 starken Wälzer auspackte, setzte mich schon etwas in Erstaunen. Aber Angst vor dicken Büchern kenne ich nicht, also stürzte ich mich ins Abenteuer Lesen.
Es war kolportiert worden, „Ein plötzlicher Todesfall“ wäre ein Kriminalroman; dass dem nicht so ist, dämmerte mir erstmals nach etwa 100 Seiten. Der Mann, um den sich die ganze Handlung in gewisser Weise rankt, Barry Fairbrother, stirbt zwar mit Anfang vierzig auf den ersten Seiten, jedoch eines natürlichen Todes. Damit hat die Autorin den einzigen „Guten“ (nur seine Frau sieht das anders – sie wirft ihm auch im Tod noch vor, dass er sich zu viel um andere und zu wenig um sie gekümmert hat) aus dem Weg geräumt und kann bei der naturalistischen Schilderung ihrer Geschöpfe in die Vollen gehen.
Nach der Lektüre von „Ein plötzlicher Todesfall“ sollte man vom Klischee „Kleinstadtidylle“ geheilt sein. Pagford, wo sich der Hauptteil der Handlung abspielt, könnte überall sein – aber selten hat Literatur die Wirklichkeit so schonungslos abgebildet. Die saubere Gemeinde hat einen Schandfleck – den sozialen Brennpunkt Fields – und alles dreht sich darum, ob dieser vielleicht der nächstliegenden Stadt Yarvil untergeschoben werden kann. Die Befürworter im Gemeinderat scheinen nach Fairbrothers Tod deutlich in der Mehrheit zu sein – oder reden sie nur dem „First Citizen“ nach dem Munde? Die Methadonklinik, einzige Hoffnung für manche Einwohner von Fields, schließen und das Gelände zu verkaufen – das wiederum wäre dessen Traum. Pagford soll wieder sauber werden! 

 Der Roman ist nicht einfach zu lesen. Der Stil ist anstrengend, und am Anfang fielen mir umständlicher Satzbau und verwirrende Gedankensprünge auf. Nach etwa 30 Seiten hatte ich mich aber auf diese Eigenheiten eingestellt und kam gut zurecht. Immerhin lieben Millionen von Lesern die „Schreibe“ von Rowling. Nach und nach wurde mir klar, dass ich einen wirklich großen Roman in der Hand halte – nicht nur vom Umfang her.
Zwei Umstände bewirken, dass ich nicht den Titel „Meisterwerk“ vergebe:
  1. Ein schier unüberschaubarer Pool an handelnden Personen – um die fünfzig – und dazu noch einmal halb so viele, die namentlich erwähnt werden. Sie alle muss der Leser gedanklich einordnen, und das ist eine ziemliche Zumutung. Man muss wirklich nicht jeden, der kurz durch die Szene huscht, mit Namen und Personenbeschreibung bedenken. Mich wunderte dabei, dass keine Hunde und Katzen hinzukommen – keine einzige Familie hat ein Haustier, was bei der ansonsten so realistischen Erzählweise erstaunlich ist.
  2. Zuerst schmunzelte ich bei dem Gedanken, Rowling hätte nun ein „Buch für Erwachsene“ verfasst, weil sie endlich einmal über Erektionen und Masturbation schreiben wollte. Im weiteren stellte ich jedoch fest, dass sie die realistische Sprache so weit treibt, dass Ausflüge in die Fäkalsprache und sexuell abwertende Begriffe letztendlich ziemlich häufig vorkommen. Man darf nicht zart besaitet sein, wenn man dieses Buch lesen will. Das ist schade, denn ich ahne, dass viele Leser sich davon abgestoßen fühlen werden. Ich konnte die Notwendigkeit solcher Wortwahl nicht erkennen.
Ich persönlich mag auch die leider inzwischen fest etablierte Mode nicht, ein Dutzend Handlungsstränge in den Raum zu stellen und allmählich miteinander zu verflechten. Als Autorin trete ich weder als Quizmaster noch als Gedächtnistrainer an, sondern möchte meine Leser erfreuen und unterhalten. Aber, wie gesagt, das ist meine persönliche Auffassung. Hat man sich erst einmal hineingefunden, baut sich ein professioneller Spannungsbogen auf, und man möchte einfach immer weiterlesen.
Die vielschichtigen Charaktere geben dem Roman seine besondere Tiefe; die Autorin verfügt über eine bewundernswerte Menschenkenntnis. Besonders beeindruckend sind die psychologisch meisterhaft gezeichneten Heranwachsenden. Trotz der Deklarierung „für Erwachsene“ habe ich den heimlichen Verdacht, dass Rowling beim Schreiben doch eher den jugendlichen Leser im Hinterkopf hatte – obwohl das Buch nicht jugendfrei ist. In zwei Szenen beschreibt sie übrigens „Webseiten hacken“ und „Fixen“ für Anfänger. Beängstigend realistisch und detailliert wird menschliches Elend geschildert, die Autorin ist nicht zimperlich. Das Buch ist wie das wirkliche Leben – vielschichtig und kompliziert. Literatur aber liebt einen klaren Plot, einen überschaubaren Personenkreis und eine Handlung, der man ohne Gehirnakrobatik folgen kann.
Die Protagonisten haben Persönlichkeit und Substanz, sind klar gezeichnet und treffend beschrieben. Sie werden zu guten Bekannten - man könnte sie fast liebgewinnen, wenn sie denn liebenswert wären. Als ich mich zwei Tage mit „Ein plötzlicher Todesfall“ beschäftigt hatte, verfolgten sie mich sogar bis ins Bett, und ich überlegte ernsthaft, das Buch nicht weiterzulesen. Am nächsten Tag entschied ich mich allerdings anders.

Die „sprechenden“ Namen erschienen mir, ehrlich gesagt, ein wenig kindisch. Krystal ist die Tochter einer drogensüchtigen Prostituierten. Sie war jedoch Fairbrothers Lieblingsschützling und ist tatsächlich ein ungeschliffener Edelstein. Genaugenommen ist sie, die Schlägerin und Schlampe, die einzige Figur mit Charakter. Mit Fairbrother verliert sie die einzige Person, der sie vertraut, und es kommt zur Katastrophe.
Bei einem solchen Lesestoff erwartet man kein Happy End. Trotzdem empfand ich das Ende, das die Autorin gewählt hat, als extrem unbefriedigend.
 

Sonntag, 20. Mai 2012

Rezension "Ausgehandelt"


"Ausgehandelt" von Andreas Adlon
amazon Kindle eBook

 

Es handelt sich hier um einen Debütroman, und ich war bereit, dem Autor einiges zugute zu halten. 

 

Der Anfang ist in Ordnung, und es könnte tatsächlich, wie ausgewiesen, ein Wallstreet-Thriller werden. Dann jedoch wird es immer enttäuschender, und zeitweilig war ich regelrecht erbost, dass man mir zumutet, so etwas zu lesen. Der Schluss ist wiederum brauchbar, wenn es auch zeitweise so von Banking-Fachausdrücken wimmelt, dass ein Laie nichts mehr verstehen kann. Dazwischen ist sehr wenig, und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich um eine Kurzgeschichte handelt, die auf Romanlänge ausgewalzt wurde.

 

Das Buch hat den löblichen Ansatz, den New Yorker Börsencrash im Mai 2010 belletristisch zu verarbeiten und zu erklären. Es kam damals binnen Minuten zu einem dramatischen Kurssturz – ausgelöst durch eine einzige „abnorme“ Transaktion einer eher konservativen Brokerfirma. Da im Computerhandel Verkaufsorders automatisch ausgelöst werden können, wenn der Kurs unter eine bestimmte Marke fällt, kam es zu einer regelrechten Schockwelle.

Der Investmentbanker Thomas wird telefonisch erpresst, eine bestimmte Order auszuführen. Nur er, der Chefhändler der Brokerfirma, kann eine so enorme Transaktion abschicken. Die Anrufer behaupten, seine Frau Emma entführt zu haben und wollen sie töten, wenn er nicht sofort handelt. Thomas tut, was vom ihm verlangt wird. Damit ist seine glänzende Karriere als deutscher Broker in New York beendet – er wird sofort suspendiert. 

Wenig später bekommt er die telefonische Anweisung, nach Mexiko zu fliegen, und hofft, dort seine Frau zu finden. Angekommen, wird er von den Ganoven festgesetzt und zu weiteren Kursmanipulationen gezwungen. Es folgen halbherzige und naive Versuche, die Entführung mit Hilfe eines Privatdetektivs (den er aus LA kommen lässt, denn in NYC gibt’s wohl keine) und eines Star-Hackers (eine Art Superagent, der James Bond locker schlägt - alles vom heimischen Computer aus) aufzuklären. Thomas' Frau und Tochter sind inzwischen wieder in Deutschland bei ihren Eltern, und Thomas lässt sich so richtig schön gehen. Alkoholkonsum wird seine Hauptbeschäftigung. 
 
Mit drei Szenen möchte ich nun belegen, wie unprofessionell und schlecht durchdacht der Plot daherkommt. Emma ist eine Topjournalistin, wird vom Autor jedoch behandelt wie ein Dummchen, das nichts außer Shopping und Gewäsch mit der Freundin im Sinn hat. 

Szene 1: Emmas Kollege will Thomas bei seiner Recherche helfen. Der Gringo-Journalist und der deutsche Banker, die voll geheim investigativ unterwegs sind, treffen sich in Mexiko total unauffällig in einem Café, das sonst nur von Einheimischen besucht wird. 
 
Szene 2: Thomas wird des Mordes an einem ehemaligen Mitarbeiter angeklagt, obwohl er ein handfestes Alibi mit Dutzenden von Zeugen hat. Er war nämlich zur Tatzeit beim Zocken in Atlantik City, was der Autor scheinbar völlig vergessen hat, denn er erwähnt es nicht. Tatwaffe, Drogen und viel Bargeld werden schön beieinander in Thomas' Kleiderschrank gefunden, da nicht stutzig zu werden, so dumm ist nicht einmal ein Polizistenwitz-Polizist.

 Szene 3: Er erzählt einer unbekannten osteuropäischen Hure, deren Stammkunden (Gangster!) er ausbaldowern will, seine Pläne und gibt ihr seinen Namen + Adresse.

Ausgehandelt“ ist spannend, aber insgesamt ein schwaches Machwerk. Der Plot ist mager und nicht schlüssig. Mit allen möglichen Einschüben, die nichts mit der Handlung zu tun haben und die den Leser nicht interessieren, wird dreiste Seitenschinderei betrieben. Die Dialoge sind realitätsfern, schal und nichtssagend. Die Gedanken- und Gefühlswelt der Figuren ist nicht nachvollziehbar. Thomas, der seine Tochter überschwänglich lieben soll und seine Frau so lala, verschwendet über weite Passagen keinen Gedanken an seine Angehörigen. Die Mails seiner Frau sind für ihn wie Spam. Naturgemäß versteht der Autor nichts von Frauenfreundschaften, beschreibt sie aber detailliert, übrigens völlig ohne Bezug zur Handlung. Thomas' Vater, zu dem er ein sehr gutes Verhältnis hat und auf dessen Rat er viel gibt, wird nach Monaten mal eben über die Situation informiert. Wenn Thomas' Mutter sich Sorgen macht und - angesichts der Konfrontation mit den skrupellosen internationalen Verbrechern – nach seinen weiteren Plänen fragt, ist das „Einmischung“. etc., etc.
 
Die Schreibe von Andreas Adlon ist ungelenk, das Buch wimmelt von sachlichen, logischen, orthografischen und grammatischen Schnitzern. Gründlich überarbeitet, hätte etwas daraus werden können, aber es wurde viel zu früh auf den Markt geworfen. Solche Werke begründen den schlechten Ruf der Indie-Autoren, was eine schreiende Ungerechtigkeit gegenüber den sorgfältig arbeitenden Kollegen ist.