Birgit Böckli Friesensturm
Knaur Taschenbuch 2011 ISBN 978-3-426-51022-3 - auch als Kindle ebook erhältlich
Knaur Taschenbuch 2011 ISBN 978-3-426-51022-3 - auch als Kindle ebook erhältlich
Der
Berliner Kriminalkommissar Berg lässt sich, für mich nicht ganz
schlüssig, nach einem traumatischen persönlichen Erlebnis auf die
Nordseeinsel Spiekeroog versetzen. Alle haben ihm abgeraten, aber er
hält an seinem Entschluss fest – diese psychologische Feinheit
kann ich hinwiederum gut nachvollziehen.
Revierleiter
Herrlich, der bisher einzige Polizist auf der Insel, empfindet die
ungebetene Unterstützung, obwohl er gesundheitlich angeschlagen ist,
als Einmischung in seine inneren Angelegenheiten und lässt Berg
überdeutlich spüren, dass er nicht willkommen ist. Nach und nach
zeigt die Autorin auf, dass er nach Jahrzehnten eines Schlendrians
aus Faulheit und Vertuschung durchaus Grund dazu hat.
Kaum
ist Kommissar Berg im Dienst, geschieht auch schon ein Mord, und
Herrlich ist deutlich überfordert. Die Kollegen vom Festland nehmen
bald darauf das Ruder in die Hand, und Herrlich schwänzt als
beleidigte Leberwurst den Dienst. Niemanden außer mir scheint das zu
wundern. Auf dem Eiland ist wohl alles ein bisschen anders; schade
dass ich Spiekeroog nicht in der Realität kenne, ich liebe das
Verrückte.
Es
kommt aber noch seltsamer: ein Zivilist ist die Seele der
Polizeistation und hat Einblick in alle Dienstgeheimnisse – ein
Unding! Dadurch wird er, wegen seines Wissens, für den Leser zum
Verdächtigen. Dieser Johanssen ist zu hilfsbereit, zu nett, zu
unentbehrlich – suspekter kann man gar nicht sein.
Wenn
man bereit ist, diese Schrulligkeiten zu akzeptieren, oder es mit der
Wirklichkeit des Polizeidienstes zugunsten von Spannung und
Unterhaltung nicht so genau nimmt, ist an „Friesensturm“ nichts
auszusetzen. Der Roman ist spannend, flüssig und durchaus auch
schlüssig geschrieben. Er kommt ohne nervige, verwickelte
Handlungsstrang-Konstruktionen aus und ist trotzdem handwerklich
perfekt. Die Protagonisten sind sehr überzeugend, einfach „echt“.
Auch die Polizisten haben ihre menschlichen Eigenheiten, ihre
Vorgeschichten, ihre psychischen Ecken und Kanten. Die eingeschworene
Gemeinschaft der Einheimischen ist schwer aufzubrechen – sehr
realitätsnah!
Nicht
jeder sieht das so, aber Deutschfehler trüben bei mir die Lesefreude
immer beträchtlich. In dieser Hinsicht ist „Friesensturm“
einwandfrei; klare und ausdrucksvolle Sprache tun das Übrige. Birgit
Böcklis Erstlingsroman ist ein gediegener, empfehlenswerter Krimi.
Die
Autorin hat die norddeutsche Mentalität geschickt eingefangen. Alles
Fremde wird erst einmal abgeblockt, geredet wird nur das Nötigste.
Das Buch wird von überzeugenden Charakteren bevölkert – das gilt
auch für die Nebenfiguren. Das macht die Handlung sehr lebendig,
fast als wäre man mittendrin. Ein Roman von der Sorte, den ich
früher – nebenbei Pullover strickend – in einem Zug durchgelesen
hätte. Nun, im fortgeschrittenen Alter, habe ich etwas Schlaf nötig
und brauchte daher zwei Tage. Ein gewichtigeres Lob habe ich nicht zu
vergeben.
Der
Schluss ist überraschend und wirkt ein bisschen konstruiert –
vielleicht hat er die Autorin selbst überrascht? Das bleibt ihr
Geheimnis.
Fazit:
eine deutliche Empfehlung für Freunde des gehobenen Krimis, der ohne
Ströme von Blut und Schockszenarien auskommt.
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