Sonntag, 20. Mai 2012

Rezension "Ausgehandelt"


"Ausgehandelt" von Andreas Adlon
amazon Kindle eBook

 

Es handelt sich hier um einen Debütroman, und ich war bereit, dem Autor einiges zugute zu halten. 

 

Der Anfang ist in Ordnung, und es könnte tatsächlich, wie ausgewiesen, ein Wallstreet-Thriller werden. Dann jedoch wird es immer enttäuschender, und zeitweilig war ich regelrecht erbost, dass man mir zumutet, so etwas zu lesen. Der Schluss ist wiederum brauchbar, wenn es auch zeitweise so von Banking-Fachausdrücken wimmelt, dass ein Laie nichts mehr verstehen kann. Dazwischen ist sehr wenig, und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich um eine Kurzgeschichte handelt, die auf Romanlänge ausgewalzt wurde.

 

Das Buch hat den löblichen Ansatz, den New Yorker Börsencrash im Mai 2010 belletristisch zu verarbeiten und zu erklären. Es kam damals binnen Minuten zu einem dramatischen Kurssturz – ausgelöst durch eine einzige „abnorme“ Transaktion einer eher konservativen Brokerfirma. Da im Computerhandel Verkaufsorders automatisch ausgelöst werden können, wenn der Kurs unter eine bestimmte Marke fällt, kam es zu einer regelrechten Schockwelle.

Der Investmentbanker Thomas wird telefonisch erpresst, eine bestimmte Order auszuführen. Nur er, der Chefhändler der Brokerfirma, kann eine so enorme Transaktion abschicken. Die Anrufer behaupten, seine Frau Emma entführt zu haben und wollen sie töten, wenn er nicht sofort handelt. Thomas tut, was vom ihm verlangt wird. Damit ist seine glänzende Karriere als deutscher Broker in New York beendet – er wird sofort suspendiert. 

Wenig später bekommt er die telefonische Anweisung, nach Mexiko zu fliegen, und hofft, dort seine Frau zu finden. Angekommen, wird er von den Ganoven festgesetzt und zu weiteren Kursmanipulationen gezwungen. Es folgen halbherzige und naive Versuche, die Entführung mit Hilfe eines Privatdetektivs (den er aus LA kommen lässt, denn in NYC gibt’s wohl keine) und eines Star-Hackers (eine Art Superagent, der James Bond locker schlägt - alles vom heimischen Computer aus) aufzuklären. Thomas' Frau und Tochter sind inzwischen wieder in Deutschland bei ihren Eltern, und Thomas lässt sich so richtig schön gehen. Alkoholkonsum wird seine Hauptbeschäftigung. 
 
Mit drei Szenen möchte ich nun belegen, wie unprofessionell und schlecht durchdacht der Plot daherkommt. Emma ist eine Topjournalistin, wird vom Autor jedoch behandelt wie ein Dummchen, das nichts außer Shopping und Gewäsch mit der Freundin im Sinn hat. 

Szene 1: Emmas Kollege will Thomas bei seiner Recherche helfen. Der Gringo-Journalist und der deutsche Banker, die voll geheim investigativ unterwegs sind, treffen sich in Mexiko total unauffällig in einem Café, das sonst nur von Einheimischen besucht wird. 
 
Szene 2: Thomas wird des Mordes an einem ehemaligen Mitarbeiter angeklagt, obwohl er ein handfestes Alibi mit Dutzenden von Zeugen hat. Er war nämlich zur Tatzeit beim Zocken in Atlantik City, was der Autor scheinbar völlig vergessen hat, denn er erwähnt es nicht. Tatwaffe, Drogen und viel Bargeld werden schön beieinander in Thomas' Kleiderschrank gefunden, da nicht stutzig zu werden, so dumm ist nicht einmal ein Polizistenwitz-Polizist.

 Szene 3: Er erzählt einer unbekannten osteuropäischen Hure, deren Stammkunden (Gangster!) er ausbaldowern will, seine Pläne und gibt ihr seinen Namen + Adresse.

Ausgehandelt“ ist spannend, aber insgesamt ein schwaches Machwerk. Der Plot ist mager und nicht schlüssig. Mit allen möglichen Einschüben, die nichts mit der Handlung zu tun haben und die den Leser nicht interessieren, wird dreiste Seitenschinderei betrieben. Die Dialoge sind realitätsfern, schal und nichtssagend. Die Gedanken- und Gefühlswelt der Figuren ist nicht nachvollziehbar. Thomas, der seine Tochter überschwänglich lieben soll und seine Frau so lala, verschwendet über weite Passagen keinen Gedanken an seine Angehörigen. Die Mails seiner Frau sind für ihn wie Spam. Naturgemäß versteht der Autor nichts von Frauenfreundschaften, beschreibt sie aber detailliert, übrigens völlig ohne Bezug zur Handlung. Thomas' Vater, zu dem er ein sehr gutes Verhältnis hat und auf dessen Rat er viel gibt, wird nach Monaten mal eben über die Situation informiert. Wenn Thomas' Mutter sich Sorgen macht und - angesichts der Konfrontation mit den skrupellosen internationalen Verbrechern – nach seinen weiteren Plänen fragt, ist das „Einmischung“. etc., etc.
 
Die Schreibe von Andreas Adlon ist ungelenk, das Buch wimmelt von sachlichen, logischen, orthografischen und grammatischen Schnitzern. Gründlich überarbeitet, hätte etwas daraus werden können, aber es wurde viel zu früh auf den Markt geworfen. Solche Werke begründen den schlechten Ruf der Indie-Autoren, was eine schreiende Ungerechtigkeit gegenüber den sorgfältig arbeitenden Kollegen ist.



Freitag, 11. Mai 2012

Claudia Martini "Frau in Stöckeln"


Claudia Martini Frau in Stöckeln
amazon kindle eBook

Dieser Roman ist kein „richtiger“ Roman, und es fällt schwer, ihn in ein Genre einzuordnen. Das frische, unkonventionelle Werk ist so etwas wie eine Adaption zwischen der Geschichte einer Liebesbeziehung und Reiseberichten – vordergründig jedoch die Selbstdarstellung einer temperamentvollen, anscheinend unzulänglichen Frau. Tatsächlich vollbringt diese jedoch enorme sportliche sowie intellektuelle Leistungen und hat keinen Grund, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen.
Die Ich-Erzählerin verfügt über die seltene Gabe der Selbstironie. Leider werden das nicht alle Leser erkennen, und sie für eine dumme Tussi halten; das ist sie mitnichten. Sie schildert den Spagat zwischen ihrem eigenen Leben, das im wesentlichen aus Karriere, Luxus-Accessoires, seichten Freizeitaktivitäten und einem Alkoholproblem besteht, und dem ihres Lebensgefährten, dem Äußerlichkeiten nichts bedeuten, und der statt dessen süchtig ist nach immer durchgeknallteren Trekking-Herausforderungen, um derentwillen er die Welt bereist. Martinis Werk lebt von satirischer Überspitzung, die allerdings öfter in plumpe numerische Übertreibung ausartet.

Stellenweise schimmert eine leichte Deutschschwäche durch. Dazu kommen Fehler, die durch nochmaliges Überlesen zu vermeiden gewesen wären. Der Einstieg wiederholt einen Makel, der mir leider immer wieder auffällt: eigentlich recht gute Bücher beginnen schwach oder langweilig. Die Autoren müssen sich klarmachen, dass der Leser ein Buch weglegt, wenn ihm der Anfang nicht gefällt. Ich zumindest würde es tun, läse ich nicht zum Zwecke der Rezension. Und nur, weil ich tapfer durchhalte, entdecke ich in so mancher hässlichen Auster eine schimmernde Perle. Ein perfektes Buch ist "Frau in Stöckeln“ nicht, aber ein unterhaltsames und durchaus lesenswertes. Die Autorin hat es verstanden, einen eigentlich banalen Stoff amüsant und interessant zu gestalten.
Größtenteils besticht das Buch durch prägnante, lebendige Schilderungen, aber es gelingt der Autorin leider nicht, diesen Stil einheitlich durchzuziehen. Ausflüge in die Fäkalsprache sind mal der entsprechenden Szene geschuldet, und durchaus tolerierbar, manchmal aber einfach stillos. Die Frau in Stöckelschuhen mag ein Luxusweibchen sein; eine Lady ist sie nicht. Nun, das behauptet sie aber auch gar nicht zu sein. Und für die im Buch geschilderten Tortur-Urlaube wäre das auch nicht hilfreich.
Ich habe mich beim Lesen immer wieder gefragt, ob es sich um Fiktion oder persönliche Erlebnisse handelt. Eigentlich ist das irrelevant und Sache des Autors, wenn nur ein gutes Buch dabei herauskommt. Einige der beim Aufenthalt in Oman beschriebenen Details erscheinen mir aber recht zweifelhaft für ein muslimisches Land, und mindern den ansonsten positiven Eindruck der Authentizität.
Ich, sonst Meister im zeitsparenden Querlesen, wollte jedenfalls bei Claudia Martinis Buch keinen Satz verpassen.

Mittwoch, 2. Mai 2012

"Friesensturm" von Birgit Böckli

Birgit Böckli Friesensturm 
 Knaur Taschenbuch 2011 ISBN 978-3-426-51022-3 - auch als Kindle ebook erhältlich

Der Berliner Kriminalkommissar Berg lässt sich, für mich nicht ganz schlüssig, nach einem traumatischen persönlichen Erlebnis auf die Nordseeinsel Spiekeroog versetzen. Alle haben ihm abgeraten, aber er hält an seinem Entschluss fest – diese psychologische Feinheit kann ich hinwiederum gut nachvollziehen.
Revierleiter Herrlich, der bisher einzige Polizist auf der Insel, empfindet die ungebetene Unterstützung, obwohl er gesundheitlich angeschlagen ist, als Einmischung in seine inneren Angelegenheiten und lässt Berg überdeutlich spüren, dass er nicht willkommen ist. Nach und nach zeigt die Autorin auf, dass er nach Jahrzehnten eines Schlendrians aus Faulheit und Vertuschung durchaus Grund dazu hat.
Kaum ist Kommissar Berg im Dienst, geschieht auch schon ein Mord, und Herrlich ist deutlich überfordert. Die Kollegen vom Festland nehmen bald darauf das Ruder in die Hand, und Herrlich schwänzt als beleidigte Leberwurst den Dienst. Niemanden außer mir scheint das zu wundern. Auf dem Eiland ist wohl alles ein bisschen anders; schade dass ich Spiekeroog nicht in der Realität kenne, ich liebe das Verrückte.
Es kommt aber noch seltsamer: ein Zivilist ist die Seele der Polizeistation und hat Einblick in alle Dienstgeheimnisse – ein Unding! Dadurch wird er, wegen seines Wissens, für den Leser zum Verdächtigen. Dieser Johanssen ist zu hilfsbereit, zu nett, zu unentbehrlich – suspekter kann man gar nicht sein.
Wenn man bereit ist, diese Schrulligkeiten zu akzeptieren, oder es mit der Wirklichkeit des Polizeidienstes zugunsten von Spannung und Unterhaltung nicht so genau nimmt, ist an „Friesensturm“ nichts auszusetzen. Der Roman ist spannend, flüssig und durchaus auch schlüssig geschrieben. Er kommt ohne nervige, verwickelte Handlungsstrang-Konstruktionen aus und ist trotzdem handwerklich perfekt. Die Protagonisten sind sehr überzeugend, einfach „echt“. Auch die Polizisten haben ihre menschlichen Eigenheiten, ihre Vorgeschichten, ihre psychischen Ecken und Kanten. Die eingeschworene Gemeinschaft der Einheimischen ist schwer aufzubrechen – sehr realitätsnah!

Nicht jeder sieht das so, aber Deutschfehler trüben bei mir die Lesefreude immer beträchtlich. In dieser Hinsicht ist „Friesensturm“ einwandfrei; klare und ausdrucksvolle Sprache tun das Übrige. Birgit Böcklis Erstlingsroman ist ein gediegener, empfehlenswerter Krimi.
Die Autorin hat die norddeutsche Mentalität geschickt eingefangen. Alles Fremde wird erst einmal abgeblockt, geredet wird nur das Nötigste. Das Buch wird von überzeugenden Charakteren bevölkert – das gilt auch für die Nebenfiguren. Das macht die Handlung sehr lebendig, fast als wäre man mittendrin. Ein Roman von der Sorte, den ich früher – nebenbei Pullover strickend – in einem Zug durchgelesen hätte. Nun, im fortgeschrittenen Alter, habe ich etwas Schlaf nötig und brauchte daher zwei Tage. Ein gewichtigeres Lob habe ich nicht zu vergeben.

Der Schluss ist überraschend und wirkt ein bisschen konstruiert – vielleicht hat er die Autorin selbst überrascht? Das bleibt ihr Geheimnis.

Fazit: eine deutliche Empfehlung für Freunde des gehobenen Krimis, der ohne Ströme von Blut und Schockszenarien auskommt.